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Über klingende "Objets trouvés", die Schönheit reduzierter Expressivität und das Interesse an provinzieller Musikbetrachtung bei Semuin.

Auf der Bühne steht ein altes Kofferharmonium der US-Army, darauf eine afrikanische Kalimba und ein Powerbook. An diesem anachronistischen Nebeneinander tragbarer Musikinstrumente lässt sich noch vor Beginn eines seiner beeindruckenden Live-Konzerte der undogmatische musikalische Ansatz des Berliner Musikers Jochen Briesen und seinem Soloprojekt Semuin ablesen. Nicht weniger heterogen gibt sich das Klangarchiv auf der Festplatte des Laptops. Dort liegen "Gesänge aus Papua Neu Guinea neben selbst aufgenommenen Gitarren oder Klavierspuren, neben rechner- generierten Klängen, neben Ausschnitten aus klassischer Musik und Field Recordings. Auf alle Files kann ich unkompliziert, schnell und intuitiv zugreifen." Bei Semuin spielt eine ästhetische Kategorisierung des Materials keine Rolle. Vielmehr erscheint es reizvoll, sich im Arbeitsprozess von klingenden Fundstücken und den Resultaten des graphisch vorgenommenen Editings und Collagierens überraschen zu lassen. "Was mich zunächst berührt und anspricht ist der Zufall, das Vermischen verschiedenster Elemente und die Beliebigkeit, die nichts mit Belanglosigkeit zu tun hat. Ich versuche herauszufinden was mich an der zufälligen Zusammenstellung, an der konkreten Beliebigkeit berührt und dann das Stück in diese Richtung weiter zu entwickeln. Wenn ich nicht direkt eine wie auch immer konstruierte Collage mit dem Spiel eines Instrumentes interpretiere, dann sind die tonalen Instrumentalspuren, die auf den Aufnahmen zu hören sind, Spuren die ich vor langer Zeit aufgenommen habe und wieder auf meiner Festplatte finde. Zunächst ist mein Umgang mit Sampling sehr unbeschwert, weil sich meine Behandlung eines Samples aus einer Mozart- sinfonie nicht von der Behandlung eines selbst aufgenommenen Harmoniumspiels oder dem Geräusch einer U-Bahn unterscheidet. Alle drei Elemente können innerhalb eines Stückes gleich- berechtigt nebeneinander auftreten. Musikalische Einheiten gehören heute ebenso zu unserer akustischen Lebenswelt wie beispielsweise Ver- kehrsgeräusche, beide kann man sowohl ästhetisch als auch nicht-ästhetisch wahrnehmen. Dies ist ein Aspekt von Sampling, auf den einige meiner Stücke aufmerksam machen. Außerdem bin ich von betontem Autorentum und dem Bunkern musikalischer Einheiten und Ideen gelangweilt."

Semiun entwirft als überzeugende Alternative ein durch Unbefangenheit bestechendes Modell der Verbindung von (De-)Konstruktion klanglicher Versatzstücke und reduzierter Expressivität des Instrumentalspiels. Sein nun erschienenes Debüt-Album mit dem pointierten Titel "Province" vermisst auf charmante Art und Weise Semuins musikalischen Aktionsradius und thematisiert das Problembewusstsein für topographische Ver- ortungen auf der der popmusikalischen Landkarte: "Die provinzielle Adaption einer Szene ist meist als Kopie ihrer urbanen Wurzel entstanden und man müsste daher eigentlich annehmen, deren jeweilige Codes würden gerade auf dem Land mit verbissener Strenge genutzt und geschützt. Das Gegenteil ist der Fall, zumindest ist das meine Erfahrung. Der Roman »Dorfpunks« von Rocko Schamoni macht diese Beobachtung übrigens auf unterhaltsamste Weise anschaulich. Ein entspannter und provinzieller Umgang mit der eigenen Produktion und den verwendeten Codes kann dabei helfen, das Interesse an der eigenen Musik nicht zu verlieren."
(Text & Interview: Jan Thoben)